Interview mit Mohammed Jouni
Mohammed Jouni stellte beim Forum Kreativpotentiale in Leipzig das Projekt „FairPlay“ vor, in dem es um Beteiligung und Einbeziehung junger Menschen und vor allem junger Geflüchteter geht. Für seine Arbeit wurde er jetzt mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Wie er seine Arbeit an der Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung versteht, beantwortet er in unserem Kurzinterview.
Mohammed, was war dein Beitrag zum Forum Kreativpotentiale?
Wir wollten Einblicke liefern in das Kooperationsprojekt mit dem Grips und gleichzeitig nachvollziehbar machen, wie die künstlerische Arbeit zu ganz persönlichen, aber meist auch hochpolitischen Themen mit den Jugendlichen funktioniert. Dafür haben wir in 90 Minuten versucht das zu schaffen, wofür wir fast ein Jahr im Grips-Theater Zeit hatten – Empowerment und Sichtbarkeit für jene herzustellen, die machtlos sind und marginalisiert werden: Unter anderem junge Geflüchtete.
Wie wichtig ist es dir, in der politischen Bildung auch kulturelle Bildung einzubeziehen?
Ich habe in meiner politischen Arbeit immer wieder festgestellt, dass künstlerische Formate sowohl junge Aktivist*innen motivieren als auch unser Publikum ganz anders mit unseren Themen verbinden.
Mit einem Theaterstück über Themen wie Flucht, Fluchtbiografien, Ausgrenzung Abschiebung, Rassismus, Sexismus haben wir teilweise mehr und auch andere Menschen erreicht, als wir mit klassischer politischer Bildungsarbeit z.B. in Schulen bewirkt haben. Das Medium der Kunst – bei uns ist es Theater, Performance und Film und Rap – hat mehr Menschen berührt als Demos oder andere politische Aktionen. Für Jugendliche bieten die Künste scheinbar einen intuitiveren Zugang, ihre Themen auszudrücken. Das ist weniger Reden und Diskutieren und mehr spielend und forschend ein Thema erkunden und verstehbar machen. Da werden Visionen sichtbar und für andere erlebbar, mit Spaß und Freude und Selbstermächtigung, auch wenn es um hässliche oder traurige Themen geht. Und wir machen die Themen der Jugendlichen selbst direkt zum Thema der kulturellen Arbeit, die dadurch dann auch politische Arbeit wird.
Was kann Kunst für Jugendliche beitragen, damit sie ihren Platz in der Gesellschaft finden, einnehmen und aktiv gestalten können?
Unsere Arbeit begann mit der Gründung der Initiative „Jugendliche ohne Grenzen“ im Jahr 2005 und wir haben von Anfang an mit dem Grips-Theater Berlin Formate für und mit Jugendlichen entwickelt, die grundsätzlich künstlerisch im Kern sind.
Wenn wir also kulturelle Bildung für politische Themen einsetzen, mischen sich politische und kulturelle Bildung ganz natürlich und nahtlos. Dieses Zusammenwirken von Kunst und Politik sorgt dafür, dass eine Sichtbarkeit erzeugt wird, die der gesellschaftlichen Marginalisierung entgegenwirkt. Die öffentliche Wahrnehmung der Jugendlichen wandelt sich. Sie werden durch künstlerische Interventionen zu realen Personen, zu fordernden, gestaltenden, frechen unübersehbaren und irritierenden Menschen. Und damit entsprechen sie nicht mehr den gängigen Bildern von anonymen Geflüchteten, die am Rande der Gesellschaft unsichtbar existieren.
Wie verändert die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz deine Arbeit und dein Engagement?
Wir organisieren seit 2005, also von Anfang an, eine jährliche Bundeskonferenz der lokalen Initiativen; immer parallel zur jährlichen Innenministerkonferenz. Motto ist: „Es gibt kein über uns ohne uns!“ Nach 16 Jahren kehren wir 2021 wieder an den Standort der ersten Konferenz in Stuttgart zurück. Neben der Vernetzung und dem Wissensaustausch ist die Gala mit der Wahl des Abschiebeminister zentrales Ereignis. Jugendliche machen auf der Bühne ihren „Abwahlkampf“ für bestimmte Innenminister und das in einer Art inszenierter Performance, die dann direkt in eine Wahl aller Teilnehmenden übergeht.
Die Begründung des Bundespräsidialamtes für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes bewies uns, wie wirksam unsere politische Arbeit von und durch Jugendliche ist und wie sehr unsere Arbeit auf höchste Gremien einwirken kann. Damit ist die Altfallregelung der Innenministerkonferenz gemeint, die für junge Geflüchtete mit Duldung eine aufenthaltsrechtliche Perspektive ermöglichte. Damit waren Jahre der kulturellen und politischen Bildung und Aktivismus erfolgreich. Dazu gehört auch das Empowerment der jungen Menschen, die sich engagieren und deren Arbeit Früchte trägt in Verwaltungen, Kultureinrichtungen, politischen Parteien, Schulen und Jugendeinrichtungen.
Nach der Auszeichnung haben sich viele Menschen gemeldet, die diese Verleihung ablehnen und sogar verurteilen. Wie geht ihr damit um?
Wir lassen uns von den Hate-Mails und Morddrohungen, die wir nach der Verleihung bekommen haben, nicht beeindrucken. In gewisser Weise beweisen diese Reaktionen, dass unsere Arbeit eine Veränderung der Gesellschaft für mehr Vielfalt und mehr Beteiligung und Gerechtigkeit bewirkt.
Vielleicht sollten wir tatsächlich von diesen Hatern lernen, lauter und selbstbewusster zu werden und uns genauso zu vernetzen und mehr Sichtbarkeit herzustellen, für alle jene, die eine friedlichere und gerechtere Gesellschaft wollen. Wir erreichen dieses Ziel allerdings nicht mit Hate-Mails und Gewaltandrohungen, sondern mit dem Brückenschlag zwischen marginalisierten Interessensgruppen und deren Diskriminierungserfahrungen, die sich dann doch vielfach ähneln. Und unser Weg dafür ist der Brückenschlag zwischen Kunst und Politik.
Zur Person
Mohammed Jouni ist Sozialarbeiter im Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ) in Berlin. Er ist Mitbegründer der 2005 ins Leben gerufenen Initiative „Jugendliche ohne Grenzen“, die sich für das Bleiberecht für alle und gegen Diskriminierung einsetzt. Er ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes unbegleiteter Minderjähriger und Schulpate. Im Forum Kreativpotentiale 2021 leitete er mit dem jungen Künstler Raféu Ahmad den Workshop „FairPlay – Kunst für mehr Gerechtigkeit“, in dem er das gleichnamige Projekt im Grips-Theater Berlin vorstellte.
Leseempfehlungen zum Thema
- https://taz.de/Anti-Abschiebeaktivist-ueber-Ehrung/!5810476/
- https://neuedeutsche.org/de/artikel/kann-ich-das-ueberhaupt-annehmen-mohammed-jouni-erhaelt-das-bundesverdienstkreuz/
- https://www.berlin.de/sen/ias/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1142482.php
- https://www.berlin.de/politische-bildung/politikportal/blog/artikel.1144393.php